Was weg ist, ist weg (5)
Der fünfte der 52 Denkfehler nennt sich „The Sunk Cost Fallacy“. Einfach ausgedrückt lässt sich dieser Irrtum damit beschreiben, dass Menschen die Tatsache, dass das, was weg ist, auch wirklich weg ist, bei ihren Entscheidungen ignorieren und das, was weg ist, obwohl es weg und somit nicht mehr da ist, trotzdem in ihre Entscheidung einbeziehen. Alles klar?
Ein typisches Beispiel: Sie gehen in ein Konzert, beispielsweise wie ich im Jahr 2015 in das von Madonna in der Köln Arena. Nachdem die Dame Sie einige Stunden hat warten lassen, was ich an einem Wochentag als Unverschämtheit gegenüber der arbeitenden Bevölkerung empfand, ist das, was sie auf der Bühne darbietet, meilenweit von einem guten Konzert entfernt. Schlechte Akustik, wenig live gespielt, fast nur neu arrangierte und zuweilen gar fürchterlich klingende Versionen ihrer alten Klassiker und obendrein schlecht gesungen, insgesamt eine sehr bescheidene Darbietung. Meine Partnerin sieht das genauso. Sollen wir gehen? Aber die Karten waren doch so teuer. Wir blieben und quälten uns durch das Konzert.
Genau darum geht es bei dieser „Sunk Cost Fallacy“. Wir haben bei unserer Entscheidung die versunkenen Kosten berücksichtigt, also die Kosten der Karten, die wir schon vor einiger Zeit gekauft hatten. Unser Geld hatten wir somit schon lange versenkt. Hätten wir nach dem Motto „weg ist weg“ gehandelt, hätte uns der Preis der Konzertkarten bei unserer Entscheidung egal sein müssen. Das Geld war schließlich schon weg. Wären wir gegangen, hätten wir viel gewonnen. Wir hätten uns den „Gesang“ und das Gehüpfe dieser Popdiva erspart, uns einen netten Abend auf der Couch machen und dabei ihre unzähligen Hits in der jeweiligen Originalversion von CD anhören können.
Manch einer hält an seinen Aktien fest, obwohl sie sich im freien Fall befinden und kein Ende dieses Absturzes in Sicht ist, weil er sich am Einstandspreis orientiert. Wenn der Kurs erst einmal unter dem Einstandspreis gesunken ist, fällt der Verkauf nämlich schwer. Schließlich hätte man in diesem Fall Geld verloren. Allerdings sollte man den Blick nach vorne richten und sich fragen, wie sich der Kurs künftig weiter entwickeln wird. Wird er weiter sinken, sollte in jedem Fall verkauft werden, und zwar völlig losgelöst von der Frage, wie der Einstandskurs war.
Man startet eine Werbekampagne, die auch nach Monaten keinen Erfolg bringt, weil man aber bereits so viel Geld da rein gesteckt hat, investiert man weiter, sonst wären die bisherigen Investitionen schließlich völlig umsonst gewesen.
Man liest ein Buch, stellt schon nach wenigen Seiten fest, dass es schlichtweg eine sehr spaßbefreite Tätigkeit ist, dieses Buch zu lesen. Man ist bei Seite 80 angekommen, man quält sich weiter, schließlich hat man doch schon mehr als ein Drittel geschafft und hält tapfer durch bis zum Schluss auf Seite 200.
Das klingt irgendwie alles unsinnig, oder? Daher sagt die rationale Entscheidungslehre, dass man bei seinen Entscheidungen nur die künftigen Erträge und Kosten berücksichtigen solle. Die Berücksichtigung versunkener Kosten führe dazu, dass Unternehmen zu lange an Projekten, Produkten oder in der Vergangenheit getroffenen (Fehl-)Entscheidungen festhalten und für Menschen im Allgemeinen gelte das gleichermaßen. Daher lautet das Fazit zum fünften Denkfehler: „Egal, was Sie bereits investiert haben, es zählt einzig das Jetzt und Ihre Einschätzung der Zukunft.“
Nun wissen wir aber alle nicht, was die Zukunft bringen wird. Entscheidungen, privat oder geschäftlich, werden immer unter Unsicherheit getroffen, was morgen ist, ist ungewiss. Die einzig sichere Größe ist zuweilen das, was wir schon investiert haben. Und genau deshalb machen wir weiter. Ist das immer oder grundsätzlich falsch?
Alles eine Frage der Perspektive: Was aus meinem persönlichen Blickwinkel weg sein mag, ist aus anderer Perspektive gar nicht weg, sondern endlich da. „Weg oder nicht weg?“ lautet also die Frage. Die bisherigen Investitionen lösen sich in der Regel nicht in Luft auf. Bei genauerem Hinsehen ist das Geld nicht weg, es ist nur irgendwo anders gelandet. Investitionen wirken sich gemeinhin positiv auf Beschäftigung und Einkommen aus, Kaufkraft und Nachfrage werden ebenfalls positiv beeinflusst.
Hinzu kommt, dass künftige Erfolge und auch Erträge nur schwer bis gar nicht eingeschätzt werden können. Oder wussten die alten Ägypter oder Römer, welche Wirkung ihre Gebäude auf den heutigen Tourismus haben würden?
Die Tatsache, dass Menschen das, was sie bereits in eine Sache investiert haben, bei ihren Entscheidungen berücksichtigen, mag einigen als vollkommen irrational erscheinen. Andere sehen die Errungenschaften und Fortschritte, die aufgrund dieses Denkfehlers im Verlauf der Menschheit entstanden sind und die tagein, tagaus weiterhin zustande kommen. Alles eine Frage des Blickwinkels.
Würde ich nochmal das Madonna-Konzert bis zum Ende durchstehen? Ja, denn manchmal will ich im Detail wissen, wie schlecht etwas ist oder sein kann. Trotzdem sollte man schlechtem Geld kein gutes hinterher werfen und deswegen gehe ich auch nicht nochmal zu einem Konzert von Madonna.