Nichts schuldig bleiben wollen (6)
Der sechste der 52 Denkfehler nennt sich „Reziprozität“ bzw. er beruht darauf und ist unterschrieben mit der Frage, „Warum Sie sich keinen Drink spendieren lassen sollten“.
Die so genannte Reziprozitätsregel oder das Prinzip der Gegenseitigkeit besagt Folgendes: Wenn Menschen von anderen Menschen etwas erhalten, sind wir motiviert, dafür eine Gegenleistung zu erbringen. Wenn uns jemand einen Gefallen tut, wollen wir es ihm gleichtun. Das ist ein sehr gesundes und wohltuendes Prinzip, wie sich im Verlauf der Menschheit immer wieder gezeigt hat. Viele langjährige und gute Freundschaften basieren auf diesem Prinzip und für gute Geschäftsbeziehungen gilt das Gleiche. Wir schätzen es, wenn man sich aufeinander verlassen kann.
Allerdings gibt es laut Einschätzung der Denkfehlertheoretiker eine andere, „hässliche Seite“ dieses im Grundsatz guten Prinzips. Wird man eingeladen, fühlt man sich zur Gegeneinladung verpflichtet. Was für den Aufbau von Beziehungen eine durchaus positive Neigung ist, wird ad absurdum geführt, wenn es ein elendig langweiliger Abend war. Es soll Menschen geben, die sich seit Jahrzehnten aus gegenseitigem Verpflichtungsgefühl zu vielen elendig langweiligen Abenden treffen.
Noch absurder wird es, wenn man sich die Begründung einer Frau dafür anhört, warum sie sich keinen Drink mehr von einem Mann in einer Bar spendieren lässt: „Weil ich diese unterschwellige Verpflichtung nicht haben will, mit ihm ins Bett zu steigen.“
Hat das wirklich etwas mit Reziprozität zu tun oder handelt es sich vielleicht eher um eine Persönlichkeitsstörung, wenn man nach jedem spendierten Drink sofort das Verpflichtungsgefühl empfindet, miteinander in die Kiste springen zu müssen. Eventuell mag es aber einfach nur eine gute „Begründung“ für zahlreiche nächtliche Amüsements sein.
Das Fazit zum fünften Denkfehler lautet: „Wenn Sie das nächste Mal im Supermarkt angesprochen werden, um Wein, Käse, Schinken oder Oliven zu kosten, dann wissen Sie, warum Sie besser ablehnen.“ Mein Fazit: Entscheiden Sie weiter eigenständig und hören Sie nicht auf jede Empfehlung, auch nicht auf meine.
Wenn Menschen aufhören, ihre Entscheidungen eigenverantwortlich, bewusst und aus eigenem Willen zu treffen, liegt das nicht an irgendeinem für das soziale Gefüge positivem Prinzip und Sie sollten aufgrund dieses Prinzips sicherlich nicht auf etwas verzichten, was Sie gerne möchten. Sie können sich weiterhin einen Drink spendieren und sich zum Essen einladen lassen, denn Sie müssen anschließend rein gar nichts. Ich probiere jedenfalls gerne weiter, ich muss schließlich nichts kaufen. Das entscheide immer noch ich. Und ich habe überhaupt kein schlechtes Gewissen, wenn ich nichts kaufe – Reziprozität hin oder her, ist schließlich wechselseitig, sollen die anderen sich doch Gedanken darüber machen. Denken Sie mal drüber nach.