Mitarbeiterüberwachung oder gelebte Feedbackkultur
Die Süddeutsche titelte am 19.11.2019 in ihrer Online-Ausgabe (https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/zalando-ueberwachung-zonar-1.4688431): „So überwacht Zalando seine Mitarbeiter“.
Auf der Sachebene erfährt man in dem Artikel Folgendes: „Mit der Software (Anm. des Verfassers: namens Zonar) beurteilen Vorgesetzte und Mitarbeiter umfassend die Stärken und Schwächen von Kollegen, zum Beispiel deren Leistung und soziales Verhalten.“ Auf der emotionalen Ebene meinen die Urheber einer Studie – zwei „Forscher“ der Berliner Humboldt-Universität –, auf deren Ergebnisse sich der Artikel bezieht: „Im Kern geht es darum, Beschäftigte permanent zu bewerten, zu kontrollieren und zu sanktionieren“.
Demgegenüber spricht die Personalchefin von Zalando „von der Möglichkeit zum 360 Grad Feedback“ auch für die Mitarbeiter. Während früher nur die jeweilige Führungskraft darüber entschieden hätte, ob ein Mitarbeiter befördert wird oder mehr Gehalt bekommt, fließen jetzt zusätzlich auch die Meinungen von Kollegen und firmeninternen Kunden mit ein. Das System sei somit „fairer als vorher“ und „man unterstütze die Entwicklung jedes Mitarbeiters durch gelebte Feedback-Kultur.“
Befragte Mitarbeiter sehen das ganz anders, wie n-tv (https://www.n-tv.de/wirtschaft/Zalando-ueberwacht-Mitarbeiter-mit-Software-article21405174.html) zu berichten weiß und mit folgenden Zitaten von Mitarbeitern untermauert: „Es ist eine 360-Grad-Überwachung.“ „Ich kann nicht einfach mal einen schlechten Tag haben.“ „Ich find Zonar unmöglich.“ „Eigentlich sind es Stasi-Methoden.“ „Egal wie gut dein Feedback ist, der Chef kann es auslegen, wie er will. Wenn er dich nicht mag, ekelt er dich aus der Firma.“
Ein kurzer Blick auf das Studiendesign würde Presseleuten grundsätzlich gut zu Gesicht stehen, ehe sie Unsinn für marktschreierische Überschriften verwenden und mit schwachsinnigen Artikeln Meinungsmache betreiben. Wir schauen uns an dieser Stelle kurz die Studie an und bilden uns dann eine Meinung.
Die Studie ist im Internet zu finden (https://www.boeckler.de/pdf/p_study_hbs_429.pdf). Die Ergebnisse basieren auf 10 Interviews und 2 Gruppendiskussionen mit 5 und 8 Beschäftigten. In Summe also eine Datenbasis von lediglich 23 Personen.
Wie diese Personen genau rekrutiert wurden, lassen die „Forscher“ weitestgehend offen. Sie schreiben zwar, das „Hauptauswahlkriterium“ hätte darin bestanden, dass die Befragten den Bewertungsprozess mindestens einmal durchlaufen hätten, weitere Informationen zur Auswahl der Befragten gibt es aber nicht. Dies legt die Vermutung nahe, dass ansonsten eine freie Rekrutierung durch einen öffentlichen Aufruf vorgenommen wurde. Was meinen Sie, wer sich bei einem solchen Aufruf ohne weitere Restriktionen, mit denen man einer Repräsentativität zumindest in gewisser Weise hätte näherkommen können, verstärkt meldet? Genau, es sind überwiegend diejenigen, die das System zum Kotzen finden.
Von dieser 23 Personen umfassenden Stichprobe und den oben aufgeführten Einzelaussagen schließen die Forscher nun auf das Große und Ganze. Das kann man zwar machen, dadurch wird es aber nicht richtig.
Ob aus den Ergebnissen der Befragung einer Stichprobe auf die Grundgesamtheit geschlossen werden kann, ist eine Frage der Repräsentativität. Die Repräsentativität einer Stichprobe oder einer Befragung ist eine Eigenschaft, die es ermöglicht, aus einer kleinen Stichprobe Aussagen über eine wesentlich größere Menge, die so genannte Grundgesamtheit, zu treffen.
Hierbei hilft einerseits der Zufall: Zufällig ausgewählte Stichproben, bei denen alle einzelnen Elemente die gleiche Chance auf eine Teilnahme an der Befragung hatten, gelten als repräsentativ. Nicht alle Mitarbeiter von Zalando hatten dieselbe Chance an der Studie teilzunehmen, insofern handelt es sich nicht um eine Zufallsstichprobe.
Andererseits arbeitet man mit Quoten, indem man versucht, die Stichprobe hinsichtlich verschiedener Merkmale (Geschlecht, Alter usw.) genauso zusammenzusetzen wie die Grundgesamtheit. Auch mit Quoten wurde bei der Befragung nicht gearbeitet, die Annahme einer repräsentativen Stichprobe wäre somit unzulässig.
Darüber hinaus hilft selbstverständlich die Größe der Stichprobe: Je größer die Stichprobe desto kleiner die Abweichung des Stichprobenergebnisses vom Ergebnis der Grundgesamtheit. Mit nur 23 Personen kommen wir der Repräsentativität kaum ein Stück näher.
Wenn wir uns die Studie der beiden Forscher bezüglich der Kriterien für eine Repräsentativität ansehen, weiß man, dass man sich nicht weiter mit den Ergebnissen der Studie auseinandersetzen sollte. Repräsentativ sind weder die Stichprobe noch das Befragungsergebnis. Ganz im Gegenteil, das Design der Studie lässt sogar eher vermuten, dass es sich um ein verfälschtes Ergebnis handelt.
In dem Bericht zur Studie erkennen die beiden „Forscher“, dass sie ein Problem bei der Generalisierbarkeit ihrer Ergebnisse haben. Allerdings sehen die „Forscher“ „das womöglich größte Problem für die fallbezogene Generalisierbarkeit … in der Tatsache, dass wir leider, trotz mehrfacher Anfragen, keine Interviews auf der Managementseite akquirieren konnten“.
Das ist schlicht und ergreifend völliger Humbug. Das größte Problem in der Generalisierbarkeit der Ergebnisse liegt in der mangelnden Einhaltung der für die Repräsentativität erforderlichen Kriterien. Oder mit anderen Worten: Die Ergebnisse sind völliger Mumpitz!
Losgelöst davon darf man sich darüber Gedanken machen, ob ein solches System eines multiperspektivischen Feedbacks für Mitarbeiter sinnvoll ist. Wenn man die Ansicht teilt, dass Feedback die Grundlage für Entwicklung ist, erscheint das System sehr sinnvoll. Ebenfalls erscheint es sinnvoll, wenn die mit Hilfe des Systems gesammelten Rückmeldungen zur individuellen Weiterentwicklung genutzt werden. Es gibt Menschen die Chance, sich weiterzuentwickeln und es gibt dem Unternehmen und seinen Führungskräften die Chance, die Weiterentwicklung zu unterstützen. Insbesondere auch bei zunehmenden Anteilen agiler Arbeitsweisen erscheint der Einsatz eines solchen Systems sinnvoll.
Wenn man ein solches System dazu missbraucht, um andere zu bestrafen, zu diffamieren oder in die Pfanne zu hauen, erfüllt es seinen Zweck selbstverständlich nicht. Erfahrungsgemäß spiegelt sich ein solcher Missbrauch auch in den Ergebnissen wider. Weil jeder weiß, dass er von den Rückmeldungen anderer abhängig ist und alle wissen, dass schlechte Rückmeldungen mit erheblichen Nachteilen einhergehen, weiß auch jeder, wie er den jeweils anderen zu bewerten hat, nämlich gut. Lediglich ein paar wenige benehmen sich so unterirdisch, dass diese Grundregel bei ihnen nicht eingehalten wird und sie erhalten trotzdem richtig schlechte Rückmeldungen. Genau die machen ab und an bei solchen freiwilligen Interviews mit, wobei diese Aussage keinen Anspruch auf Wahrheit beinhaltet, es ist lediglich eine Hypothese meinerseits.
In unserer Unternehmenskultur gibt es übrigens seit mehr als 10 Jahren für alle Mitarbeiter ein multiperspektivisches Feedback – für uns ist es ein Werkzeug zur kontinuierlichen Weiterentwicklung und wir sind für jedes Feedback dankbar. Insofern ist eventuell nicht das Feedbacksystem das Problem, sondern vielleicht sind es seine Anwender, die Feedbackgeber und -nehmer.