Haben kommt von Behalten (24)

Written by Admin. Posted in Denkfehler, News

Denkfehler Nr. 22 in dem Büchlein über 52 Denkfehler von Herrn Dobelli ist „Der Endowment-Effekt“ und appelliert „Klammern Sie sich nicht an Dinge“. Beim üblichen Beispiel zur Verdeutlichung des Denkfehlers, sollten Sie sich kurz fest- und innehalten: Unser Denkfehlertheoretiker will ein Auto kaufen, einen Gebrauchtwagen. Er entdeckt einen augenscheinlich einwandfreien BMW für 50.000 EUR, dessen Wert er jedoch per Augenschein auf maximal 40.000 EUR taxierte. „Ich verstehe etwas von Gebrauchtwagen“, schreibt der Denkfehlertheoretiker in gewohnter Bescheidenheit über sich selbst; natürlich ohne dass es sich bei dieser Selbsteinschätzung um einen Denkfehler wie beispielsweise die Überschätzung des eigenen Wissens und Know Hows als eine Form der Selbstüberschätzung handeln würde.

Nach einer Woche bot ihm der Verkäufer den Wagen für 40.000 EUR an und unser Denkfehlertheoretiker „schlug … zu“ und kaufte den Wagen. Der Denkfehlertheoretiker hatte also wie immer Recht, der Wagen war keine 50.000 EUR wert; Fachwissen in allen Bereichen zu haben, zahlt sich aus.

Gleich am darauffolgenden Tag erhielt unser Experte ein Angebot eines Tankstellenbesitzers über 53.000 EUR für den soeben erworbenen Wagen. „Ich lehnte dankend ab.“

Ehe wir uns weiter mit den Theorien und Denkfehlern auseinander setzen, machen wir eine kleine empirische Untersuchung oder, besser gesagt, einen Idiotentest. Hierzu wiederhole ich kurz die Eckdaten:

Sie haben gestern ein Auto für 40.000 EUR gekauft, das Ihrer Ansicht nach „maximal 40.000 wert war“. Heute haben Sie die vermutlich einmalige Chance, dieses Auto für 53.000 EUR zu verkaufen und damit über Nacht einen Gewinn von 13.000 EUR zu erwirtschaften. Erwähnenswert ist vielleicht noch, dass es sich nicht etwa um ein einmaliges oder seltenes Sammlerstück, sondern um einen handelsüblichen BMW handelt.

Unser Denkfehlertheoretiker „lehnte dankend ab“ und merkte erst auf der Heimfahrt, „wie irrational“ sein „Verhalten war“. Er war einem Denkfehler unterlegen, dem so genannten „Endowment-Effekt“ oder auf Deutsch dem Besitztumseffekt: „Was wir besitzen, empfinden wir als wertvoller, als was wir nicht besitzen.“ Das bedeute zudem, dass wir mehr für etwas verlangen, wenn wir es verkaufen als wir selbst dafür zu zahlen bereit wären. Dies wird uns sodann anhand eines Experiments von Dan Ariely verdeutlicht.

An einer Uni in den USA wurden Karten für ein wichtiges Basketballspiel an Studenten verlost. Diejenigen, die kein Losglück hatten, wurden befragt, wie viel Geld sie für eine Karte zahlen würden. Die meisten gaben in etwa 170 Dollar an. Die Gewinner wurden auch befragt, für wie viel sie ihre Karten verkaufen würden. Die Befragung erfolgte durch angebliche Ticket-Schwarzhändler. Dieser durchaus gewichtige Umstand wird aber beim Nacherzählen von Herrn Dobelli geflissentlich weggelassen. Der durchschnittliche Verkaufspreis bei den Gewinnern der Tickets lag bei 2.400 Dollar.

Und unser Denkfehlertheoretiker schlussfolgert: „Die einfache Tatsache, dass wir etwas besitzen, verleiht der Sache offenbar wert.“

Das ist richtig und falsch zugleich und bedarf des Nachdenkens. Es gibt Dinge, die haben für uns einen sehr hohen emotionalen Wert, Karten für ein Champions League Spiel, Karten für ein Konzert der Rolling Stones oder eben für ein Basketballspiel, bei dem regelmäßig eine Vielzahl von Personen trotz stundenlangen Anstehens keine Karten bekommt – auch dieser durchaus wichtige Umstand wurde beim Nacherzählen von Herrn Dobelli nicht erwähnt. Suchen Sie sich ein besonderes Ereignis aus, dass für Sie emotional besonders wertvoll wäre. Wenn Sie dieses emotional wertvolle Gut selbst erwerben, müssen Sie Ihr Portemonnaie zücken und unsere Mittel sind in der Regel begrenzt. Wir zögern, gönnen uns nicht alles, müssen Prioritäten setzen, sind sparsam und so weiter. Wenn man uns nach der Ausgabebereitschaft fragt, spielt all das eine Rolle. Wir achten auf die Kosten bzw. begrenzen unsere Ausgaben.

Wenn wir das emotionale Gut in unserem Besitz haben, spielen diese Dinge keine Rolle mehr, sondern es geht um ganz andere Aspekte. Karten für ein Stones-Konzert würde ich für kein Geld der Welt wieder hergeben. Ich will das Gut behalten. Wenn man mich nach dem Preis fragt, setze ich den Preis in utopische Höhen, weil ich es ja gar nicht wieder hergeben möchte. Und wenn mich dann auch noch ein vermeintlich professioneller Schwarzhändler fragt, fällt der Preis nochmals höher aus. Das ist keineswegs „irrational“, wie es uns die Denkfehlertheorie weismachen möchte, sondern vollkommen rational. Irrational wäre es, den Preis als Verkäufer im Beispiel bei 170 oder auch 200 Dollar anzusetzen, dann nämlich wären die Karten ruckzuck verkauft und man hätte sein emotional wertvolles Gut verloren.

Wenn man die Karten schon wieder abgibt, dann muss es sich so richtig lohnen und sehr viel für einen dabei rausspringen. Der Verzicht auf das tolle Ereignis hat einen immensen Geldwert. Soweit alles logisch konsistent und völlig rational.

Darüber hinaus wussten die Studenten sicherlich, dass der wahre Fan für ein wichtiges Spiel sehr viel Geld bezahlen würde. Auch das erklärt den deutlich höheren Preis, der bei hoher Nachfrage bekanntlich steigt. Auch aus diesem Blickwinkel scheint alles ziemlich normal, oder?

Besonders häufig sei der Endowment-Effekt im Immobiliengeschäft anzutreffen, da der Verkäufer „den Wert seines Hauses systematisch höher … als der Markt“ einschätzt. Mit Markt meint der Denkfehlertheoretiker ausschließlich die potenziellen Käufer, weil die Verkäufer allesamt „systematisch“ vom Denkfehler befallen sind. „Der Marktpreis (Anmerkung des Verfassers: gemeint ist scheinbar der aus Sicht von Käufern maximal angemessene und natürlich möglichst niedrige Preis) erscheint dem Hausbesitzer oft unfair, ja, eine Frechheit, weil er eine emotional Bindung zu seinem Haus hat. Diesen emotionalen Mehrwert soll ein etwaiger Käufer mitbezahlen – was natürlich absurd ist“, also absurd laut Auffassung des Denkfehlertheoretikers.

Der praktische Betriebswirt und ganz allgemein der praktisch und logisch denkende Mensch kommt zu einem anderen Schluss. Wenn alle Verkäufer so denken, beeinflusst das den Marktpreis, und zwar nach oben. Und wenn sich alle einig sind, dann gibt es auf dem Markt kein einziges Angebot, in dem der emotionale Wert sich nicht im Verkaufspreis widerspiegeln würde. Es wäre absurd, mit einem Verkaufspreis an den Markt zu gehen, den der Käufer als super fair und völlig in Ordnung empfinden würde. Denn dann würde man als Verkäufer Geld bzw. Gewinn verschenken.

Der Immobilienmarkt entlarvt im Übrigen seit Jahren den großen Denkfehler unseres Denkfehlertheoretikers mit immer weiter steigenden Preisen – bis die Blase platzt, also vielleicht oder vielleicht auch nicht, denn das ist ungewiss und ein anderes Thema.

„Loslassen fällt uns offenbar schwerer als anhäufen.“, stellt der Denkfehlertheoretiker richtigerweise fest, denn wie heißt es so schön, Haben kommt von Behalten.

Den größten Blödsinn lesen wir kurz vor dem Fazit zum Besitztumseffekt: „Wenn Sie sich um einen Job bewerben und ihn nicht bekommen, haben Sie allen Grund, enttäuscht zu sein. Wenn Sie wissen, dass Sie es bis zur Endausscheidung geschafft haben und dann die Absage erhalten, ist die Enttäuschung noch viel größer – unberechtigterweise. Denn entweder haben Sie den Job bekommen oder nicht, alles andere sollte keine Rolle spielen.“

Diese Empfehlungen sind ähnlich dämlich wie „Jetzt regen Sie sich doch nicht so auf!“ oder „Wir wollen doch bitte sachlich und rational bleiben.“ für einen Menschen, der sich gerade extrem über etwas aufregt und emotional geladen ist. Es handelt sich um einen völlig sinnfreien Appell, weil er die Natur des Menschen ignoriert. Selbstverständlich sind wir als Sportler mehr enttäuscht, wenn wir im Endspiel knapp verlieren und obendrein die beste Mannschaft des Turniers waren, als wenn wir schon in der Vorrunde ausscheiden. Und das ist gut so, sogar sehr gut. Das hat die Natur hervorragend angelegt. Es lässt uns, wenn die emotionalen Wogen sich wieder geglättet haben, darüber nachdenken, wie wir besser werden und das Spiel beim nächsten Mal gewinnen können, oder halt darüber, wie wir den Job beim nächsten Mal bekommen können.

Dem Fazit zum Besitztumseffekt kann man allerdings nur zustimmen: „Klammern Sie sich nicht an die Dinge“ und ergänzen, auch nicht an Menschen; aber lassen Sie auch nicht allzu schnell oder leichtfertig los, denn Haben kommt von Behalten, die Zufriedenheit steigt trotzdem nicht mit dem materiellen Vermögen. Denken Sie mal drüber nach.