Deutsche sind ihrem Arbeitgeber treu
„Die Wechselbereitschaft der deutschen Arbeitnehmer ist laut Studie viel geringer als in Frankreich oder den Niederlanden.“ steht in der Überschrift des Artikels von Nikolaus Doll am 13.10.2012 auf www.welt.de. Die Betriebszugehörigkeit liegt im Schnitt bei rund elf Jahren, berichtet die «Welt am Sonntag» unter Berufung auf das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Das IAB ermittelt seit 1992 die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit von Arbeitnehmern in Deutschland. Vor 20 Jahren lag die Betriebszugehörigkeit bei 10,3 Jahren, um sodann aufgrund des wirtschaftlichen Umbruchs in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung bis Ende des letzten Jahrtausends abzusinken. Aber seit dem Jahr 2000 steigt die Betriebszugehörigkeit in Deutschland kontinuierlich und lag im Jahr 2009, dem letzten berechneten Zeitraum, bei 11,2 Jahren. Bei Großkonzernen ist die Mitarbeitertreue noch deutlich stärker ausgeprägt. Die Mitarbeiter bei Daimler bleiben durchschnittlich knapp 20 Jahre im Unternehmen beschäftigt, bei der Commerzbank sind es in etwa 17 und bei Continental knapp 15 Jahre.
Was sind die Gründe für die hohe Verbundenheit der Arbeitnehmer in Deutschland zu ihren Arbeitgebern? Angeführt werden gute Gehälter und außertarifliche Leistungen. Darüber hinaus wäre der ständige Jobwechsel mit dem Ziel eines schnellen Aufstiegs auf der Karriereleiter kein Lebensentwurf für die Mehrheit der Arbeitnehmer in Deutschland. Die meisten wollten eine überschaubare Lebensplanung. Lange beim gleichen Arbeitgeber zu bleiben, bedeute Sicherheit. Man kenne sein Umfeld und die Anforderungen und man könne zudem nur schwer gekündigt werden. Wenn dann noch ein raues wirtschaftliches Klima hinzukommt, würde die Neigung zum Jobwechsel sinken.
Die zentralen Ursachen für die hohe Loyalität deutscher Arbeitnehmer sehen die Experten jedoch in den Entwicklungschancen, die die Mitarbeiter in ihren Unternehmen haben. So bestünden in deutschen Konzernen vergleichsweise gute Aufstiegsmöglichkeiten. Darüber hinaus wäre hierzulande die Bindung von Mitarbeitern an ihr Unternehmen besonders ausgeprägt und grundsätzlich stärker als in anderen Ländern. Walter Jochmann vom Beratungsunternehmen Kienbaum weist darauf hin, dass die Bindung von Mitarbeitern vor allem mittelständisch geprägt war. In Konzernen war Mitarbeiterbindung seiner Ansicht nach kein zentrales Ziel, vielmehr wäre man eher der Ansicht gewesen, dass eine gewisse Fluktuation dem Unternehmen und dem Personal durchaus gut tun würde. Diese Zeiten hätten sich jedoch geändert, so Jochmann. Dem vielfach beschrieenen „war of talents“ sei Dank!
Aufgrund des Mangels an guten Fachkräften legten die Unternehmen zunehmend mehr Wert darauf, ihre Mitarbeiter langfristig zu halten. Und weil es in vielen Wirtschaftszweigen immer schwieriger wird, qualifiziertes Personal zu finden und für sich zu gewinnen, würde beim Top-Management die Erkenntnis wachsen, dass das betriebsspezifische Wissen der Belegschaften sehr wichtig ist und an das Unternehmen gebunden werden sollte. Schließlich würden langjährige Mitarbeiter die internen Abläufe kennen, was einen besonderen Wert für die Firmen darstellt.
Und zum Schluss wird das fast schon übliche Fazit gezogen: „Immer mehr Unternehmen verstärken ihre Anstrengungen, um das Stammpersonal zu halten: mit gezielten Möglichkeiten, sich im Betrieb beruflich weiterzuentwickeln, Programmen zum lebenslangen Lernen, der Förderung von Familie und Beruf, Gesundheitspakten oder schlicht mehr Geld in Form von Gratifikationen.“
Und die Experten, in diesem Fall Walter Jochmann von Kienbaum, setzen noch einen drauf, in dem sie der deutschen Wirtschaft ein wenig schmeichelhaftes Zeugnis ausstellen. „Die Unternehmen müssen noch eine ganze Menge tun, um für ihre Mitarbeiter attraktiver zu werden“, sagt der Berater. Und fast schon ebenso natürlich wird in der üblichen Beratersprache ergänzt, dass es noch „deutlich Handlungsspielraum nach oben“ geben würde.
Alle schreien nach Arbeitgeberattraktivität, insbesondere die Unternehmensberater, deren Gewinne aus dem Krieg um die Talente resultieren und die mit demografischen Horrorszenarien die Ausgabe- und Investitionsbereitschaft der Unternehmen für noch mehr Arbeitsgeberattraktivität sukzessiv weiter in die Höhe schrauben.
Und so wurden sie flexibler, bildeten immer mehr aus, sie kümmerten sich von der ersten Stunden an um den Nachwuchs ihrer Arbeitnehmer, sie bewährten sich als Geburtshelfer, sie stellten Lehrer für die gezielte Nachwuchsförderung ein, sie schnürten Gesundheitspakete, stellten Liegen auf, massierten ihre Arbeitnehmer, erarbeiteten individuelle Ernährungspläne, stellten Ärzte für Vorsorgeuntersuchungen ein bis sie schlussendlich die Arbeit selber übernahmen.
Sie meinen, das wäre überzogen? Ja, das ist es. Aber es soll wach rütteln. Natürlich brauchen wir eine Besinnung auf grundlegende Werte, weniger Kapitalmarktorientierung bzw. -hörigkeit, und in erster Linie eine stärkere Ausrichtung des unternehmerischen Handelns auf die Menschen. Aber wir sollten es nicht übertreiben. Arbeitgeberattraktivität resultiert auch daraus, dass man seinen Mitarbeitern vertraut, ihnen Verantwortung überträgt und Eigenverantwortung fördert und fordert, das ist sinnstiftend und macht zufrieden.