Den COPSOQ sollten Sie nicht verwenden!

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Auch der COPSOQ (Copenhagen Psychosocial Questionnaire) ist ein „wissenschaftlich validierter Fragebogen zur Erfassung psychischer Belastungen und Beanspruchungen bei der Arbeit“. Das wird zumindest so behauptet.

Der Fragebogen wurde von Tage S. Kristensen und Vilhelm Borg am Institut für Arbeitsmedizin in Kopenhagen (AMI) entwickelt. Im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) führte die Freiburger Forschungsstelle für Arbeits- und Sozialmedizin zusammen mit Partnern an den Universitäten Wuppertal und Freiburg eine Erprobungsstudie in Deutschland mit einem ins Deutsche übersetzten Fragebogen an ca. 2.500 Beschäftigten durch. Den Kern bildet das arbeitswissenschaftliche Modell einer Ursache-Wirkungsbeziehung zwischen den Merkmalen der Arbeitssituation (Belastungen) und den Reaktionen der arbeitenden Menschen (Belastungsfolgen bzw. Beanspruchungen). Laut eigenen Angaben misst der COPSOQ psychische Belastungen bei der Arbeit im Sinne der GDA-Empfehlungen. Weitere Informationen unter https://www.copsoq.de/

In dem Fragebogen kommen zwei 5-stufige Skalen zum Einsatz:

  • „in sehr hohem Ausmaß“, „in hohem Ausmaß“, „zum Teil“, „in geringem Ausmaß“, „in sehr geringem Ausmaß“ sowie
  • „immer“, „oft“, „manchmal“, „selten“, „nie/fast nie“

Fragen sind beispielsweise:

  1. Müssen Sie sehr schnell arbeiten?
  2. Verlangt Ihre Arbeit von Ihnen, sich mit Ihrer Meinung zurück zu halten?
  3. Ich erledige berufliche Dinge auch außerhalb meiner Arbeitszeit.
  4. In meiner Freizeit bin ich für Personen, mit denen ich beruflich zu tun habe, erreichbar.
  5. Haben Sie Einfluss darauf, was Sie bei Ihrer Arbeit tun?
  6. Ist Ihre Arbeit abwechslungsreich?
  7. Werden Sie rechtzeitig im Voraus über Veränderungen an Ihrem Arbeitsplatz informiert, z.B. über wichtige Entscheidungen, Veränderungen oder Pläne für die Zukunft?
  8. Gibt es klare Ziele für Ihre Arbeit?
  9. Müssen Sie manchmal Dinge tun, die eigentlich auf andere Weise getan werden sollten?
  10. Bitte schätzen Sie ein, in welchem Maß Ihre unmittelbare Vorgesetzte/Ihr unmittelbarer Vor-gesetzter Konflikte gut löst.

Der Fragebogen bleibt bei den objektiven Belastungsfaktoren. Nahezu jeder, der sich professionell mit der Durchführung von Befragungen beschäftigt, wird bereits beim ersten Lesen dieser Fragen den Kopf schütteln. Nachfolgend wird lediglich exemplarisch auf Basis dieser wenigen Fragestellungen auf einige, für ein solches Kopfschütteln relevante Aspekte eingegangen.

Ad 1: Müssen Sie sehr schnell arbeiten?

Signalisiere ich meinem Arbeitgeber wirklich, dass ich niemals schnell arbeiten muss? Was wird mein Arbeitgeber dann denken, wird er das Arbeitstempo erhöhen? Diese exemplarischen Gedanken eines potenziellen Befragten ließen sich fortführen. Sie zeigen, dass man die Antworten auf eine solche Frage nicht gebrauchen kann; sie sind nicht valide.

Gibt es überhaupt noch berufstätige Menschen, die in Allerseelenruhe ihrer Arbeit nachgehen können? Einige Menschen sagen, „Schnell zu arbeiten, finde ich gut.“ Und einige andere Menschen sagen: „Mich überfordert der zunehmende Zeitdruck. Ich muss die Dinge mittlerweile so schnell abarbeiten, dass meine Fehlerquote zunimmt. Das belastet mich sehr, meine Arbeit und meine Kunden sind mir extrem wichtig, ich will keine Fehler machen.“ Schnell arbeiten zu müssen, sagt alleine noch herzlich wenig aus. Zudem ist es Teil der Realität, dass mancher Mitarbeiter zwar glaubt, sehr schnell zu arbeiten, alle anderen jedoch die Auffassung vertreten, dass er extrem langsam wäre.

Ad 2: Verlangt Ihre Arbeit von Ihnen, sich mit Ihrer Meinung zurück zu halten?

Der soziale Umgang mit anderen Menschen und die Aufrechterhaltung guter Beziehungen legen es grundsätzlich nahe, sich mit seiner Meinung etwas zurück zu halten. Wer die Frage ernst nimmt, muss dieser Aussage in einem hohen Ausmaß zustimmen bzw. mit immer antworten. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die „Wahrheit“ für ein gutes soziales Gefüge nicht unbedingt zuträglich ist. Wir dürfen durchaus ab und an über andere denken, dass sie … sind, wir sollten uns mit dem Aussprechen unserer Meinung aber zurückhalten.

Grundlagen eines sozial gut funktionierenden Miteinanders mutieren durch derartige Fragen zur psychischen Belastung, die man möglichst gering halten sollte – so ein Unsinn!

Ad 3: Ich erledige berufliche Dinge auch außerhalb meiner Arbeitszeit.

Viele Menschen erledigen heutzutage berufliche Dinge gerne außerhalb ihrer Arbeitszeit, bspw. kommen sehr viele Menschen außerhalb ihrer Arbeitszeit auf richtig gute Verbesserungsideen, ob nun beim Spazierengehen, Laufen oder Wandern.

Ad 4: In meiner Freizeit bin ich für Personen, mit denen ich beruflich zu tun habe, erreichbar.

Im Gallup Q12-Fragebogen gibt es die Aussage: „I have a best friend at work.“, die nach Auffassung von Gallup, wie im Übrigen alle Q12-Fragen, für das Engagement und die Zufriedenheit von Mitarbeitern sehr bedeutsam ist. Für gute Freunde ist man selbstverständlich auch in seiner Freizeit erreichbar. Es gibt bei einigen Fragen einen für eine valide Messung unzulässigen Interpretationsspielraum.

Ad 5: Haben Sie Einfluss darauf, was Sie bei Ihrer Arbeit tun?

Jeder Mensch hat einen Einfluss darauf, was er bei seiner Arbeit tut. Zwangsarbeit gibt es in Deutschland nicht, die ist verboten. Aussagen wie diese, die, wenn man sie ernst nimmt und nicht irgendetwas hineininterpretiert, sind nicht sinnvoll und haben in einem validen Messinstrument nichts zu suchen. Zudem ist es manchen Menschen wichtig und es erfüllt sie, wenn sie Gestaltungsfreiräume bei der Arbeit haben, während andere sehr froh sind, wenn man ihnen möglichst genau sagt, was sie in welcher Form und Reihenfolge machen sollen.

Ad 6: Ist Ihre Arbeit abwechslungsreich?

Mögliche Antwort 1: „Ja, ständig ändert sich alles. Wie schön wäre doch mal Konstanz, dieses ganze Hin und Her macht mich regelrecht fertig.“

Mögliche Antwort 2: „Ja, super abwechslungsreich, ich finde das toll, das macht es doch aus.“ Was der eine als bereichernde Abwechslung empfindet, von der er gerne mehr hätte, ist für den anderen purer Stress.

Ad 7: Werden Sie rechtzeitig im Voraus über Veränderungen an Ihrem Arbeitsplatz informiert, z.B. über wichtige Entscheidungen, Veränderungen oder Pläne für die Zukunft?

Was bedeutet „rechtzeitig im Voraus“, wer bestimmt das? Zuweilen werden Veränderungen geplant und es gibt Übereinkommen zwischen Unternehmensleitung und Personalvertretungen, noch nicht in die Kommunikation zu gehen, teilweise aus rechtlichen Gründen, zuweilen auch, weil man noch nichts Konkretes kommunizieren kann oder man befürchtet, dass jede Kommunikation nur unnötig Unruhe stiften würde. Ist das falsch? Nein, es ist richtig, genauso, wie es richtig ist, sich an die Gesetze zu halten, die teilweise eine frühere Kommunikation nicht ermöglichen. In solchen Punkten darf man sich nicht nur an der hiermit ggf. einhergehenden Beanspruchung der Mitarbeiter zu einem Zeitpunkt x ausrichten. Eine frühere Kommunikation führt je nach Veränderung zu weitaus höheren Belastungen und unnötigen Ängsten.

Ad 8: Gibt es klare Ziele für Ihre Arbeit?

Was sind klare Ziele? In vielen Unternehmen gab und gibt es für viele interne Bereiche keine „klaren Ziele“, die in Form konkreter Kennzahlen operationalisiert sind. Viele Mitarbeiterbefragungen zeigen, dass dies sehr viele Mitarbeiter kaum stört, einige sind sehr froh darüber. Ziele können für Klarheit sorgen und Orientierung geben, sie können allerdings genauso zu einer extremen Beanspruchung führen.

Ad 9: Müssen Sie manchmal Dinge tun, die eigentlich auf andere Weise getan werden sollten?

Vermutlich kann alles eigentlich auf eine andere Weise getan werden. Das hiermit einhergehende Prinzip nennt sich Fortschritt.

Zudem stellt sich die Frage, wer wirklich beurteilen kann, wie die Dinge am besten und effizientesten getan werden sollten? Jedes Individuum für sich? Jede Organisationseinheit für sich? Jeder Unternehmensbereich für sich? Was passiert, und das ist entscheidend, wenn Mitarbeiter der Auffassung sind, dass die Dinge auf andere Weise besser erledigt werden können, dies allerdings für alle anderen Mitarbeiter der falsche Weg wäre? Es ist der Umgang mit Verbesserungsideen und Vorschlägen, um den es gehen muss und der zu einer negativen psychischen Belastung werden kann. Und das wiederum ist eine Frage der Unternehmenskultur.

Ad 10: Bitte schätzen Sie ein, in welchem Maß Ihre unmittelbare Vorgesetzte/Ihr unmittelbarer Vorgesetzter Konflikte gut löst.

Was bitte ist das für ein Unsinn? Warum muss der Vorgesetzte Konflikte lösen? Sollten nicht diejenigen die Konflikte lösen, die sie haben? Wie kann ich beurteilen, ob mein Vorgesetzter den Konflikt zwischen Herrn Musterfrau und Frau Mustermann gut gelöst hat; die gucken beide unzufrieden. Auch dieses Beispiel zeigt den vorhandenen Interpretationsspielraum deutlich. Obendrein wird alleine durch diese Aussage der eigene Verantwortungsbereich implizit verringert, weil die Verantwortung zur Konfliktlösung auf den Vorgesetzten projiziert wird, anstatt die Verantwortung bei den Konfliktparteien zu belassen. In allererster Linie ist jeder Mensch selbst für die Lösung seiner Konflikte verantwortlich. Anstatt Konfliktlösung zu lernen, installieren Pädagogen Streitschlichter in Kindergärten. Besonders schlau erscheint dies nicht.

Alleine der kritische Blick auf diese wenigen Fragen aus dem COPSOQ führt zu der Frage, was eigentlich mit diesem Fragebogen gemessen werden soll bzw. wird. Die psychischen Belastungsfaktoren jedenfalls nicht und auch nicht die ggf. hieraus resultierende Beanspruchung.

Einige „Validitätskennzahlen“, wie bspw. das gerne verwendete Korrelationsmaß Cronbachs Alpha, das immer wieder als „Beweis“ für eine hohe Validität auch des COPSOQ herangezogen wird, sind diesbezüglich wenig aussagekräftig. So sagt Cronbachs Alpha lediglich etwas über die interne Konsistenz einer Skala aus. Es sagt jedoch nichts darüber aus, dass das, was gemessen werden soll, auch wirklich gemessen wird. Aber genau darum geht es schlussendlich.

Empfehlung: Den COPSOQ sollten Sie nicht einsetzen.